Ciceros Verteidigungsrede für Milo – Teil 3
1. November 2012 von Eric
Herzlich Willkommen im dritten und letzten Teil von „Ciceros Verteidigungsrede für Milo“ im Rahmen des Projekt Roms. In diesem Teil sehen wir uns weitere relevante Abschnitte der Rede an.
In den drei Paragraphen die nachfolgend zitiert werden bezieht sich Cicero auf das ausdrückliche Verbot der lex cornelia de sicariis, einem von Diktator Lucius Cornelius Sulla Felix erlassenem Gesetz, eine Waffe zu tragen um einen Menschen zu töten.
Cic. Mil. 10
Aber welcher Tod kann schon Unrecht sein, wenn er einem Attentäter oder Räuber zugefügt wird? Was ist der Sinn unserer Gefolge und Schwerter? Es ist klar dass wir dies niemals besitzen dürften, wenn es uns nicht erlaubt wäre davon Gebrauch zu machen. Deshalb ist dies, ihr Richter, ein Gesetz, nicht geschrieben sondern uns angeboren, welches wir nicht durch Tradition gelernt, erhalten oder gelesen haben, sondern welches wir von der Natur selbst ableiten; ein Gesetz welches uns nicht gelehrt, sondern zu welchem wir gemacht wurden, in welchem wir nicht geübt sind, aber welches unwiderbringlich mit uns verbunden ist, nämlich dass, wenn unser Leben durch Verschwörungen, offensichtlicher Gewalt, Waffen von Räubern oder Feinden bedroht ist, jedes Recht unsere Sicherheit zu verteidigen ehrenhaft ist.
Cic. Mil. IV
Nun aber, wenn es irgendeinen Anlass gibt, einen Menschen mit Recht zu töten – und es gibt deren viele -, so ist mit Sicherheit die Tötung nicht nur gerecht, sondern sogar zwingend, wenn Gewalt durch Gewalt abgewehrt wird. Als ein Militärtribun im Heer des Caius Marius einem Soldaten Gewalt androhte, wurde dieser Verwandte des Feldherren von jenem Mann ermordet, welchen dieser beleidigt hatte; so hatte sich dieser tugendhafte junge Mann für den Weg der Gewalt entschieden, anstatt schändlich zu leiden; und sein glanzvoller Feldherr sprach ihn darauf von jeglicher Schuld frei und behandelte ihn gut.
Cic. Mil. 11
Die Gesetze schweigen nämlich inmitten der Waffen, und sie verlangen nicht dass man auf sie warte, wenn derjenige der wartet, ungerechter Strafe ausgesetzt ist, ehe er gerechtermaßen Genugtuung erhielte. Indessen gesteht uns das Gesetz wohlweislich und gewissermaßen stillschweigend das Recht zur Selbstverteidigung zu, denn es verbietet nicht explizit einen Menschen zu töten, sondern es verbietet jedem Waffen in der Absicht zu tragen jemanden damit zu töten, so dass es auf den Vorsatz und nicht auf das Tragen der Waffe selbst ankommt. Der Mann der eine Waffe zu seiner Verteidigung gebraucht, kann nicht dafür belangt werden eine Waffe mit Tötungsvorsatz bei sich getragen zu haben. Dieser Grundsatz soll auch für diesen Fall in Erinnerung sein, ihr Richter, denn ich zweifle nicht, dass ich euch mit meiner Verteidigung überzeugen werde, wenn ihr nur bedenkt, was ihr nicht vergessen könnt: Dass es rechtens ist einen Attentäter zu töten.
Cicero argumentiert hier dass die lex cornelia de sicariis zwar explizit das Tragen einer Waffe um einen Menschen zu töten verbietet, sich aber dennoch aus dem ungeschriebenen Naturrecht (non scripta, sed nata lex), welches für Cicero neben die geschriebenen Gesetze tritt, ein Prinzip der Selbsterhaltung ableiten lässt, welches die Tötung in Notwehr, sowie das Tragen von Waffen ohne Tötungsvorsatz, quasi „schweigend“, ermöglicht. Seine Aussage „silent enim leges inter arma“ ist derart zu deuten, dass für Cicero die geschriebenen Gesetze für diesen Fall gar als außer Kraft gesetzt gelten.
Ciceros Argumente klingen einleuchtend, es ist jedoch unübersehbar wie er damit zugleich an den Fundamenten der allgemeinen Ordnung rüttelt.
Daran anschließend folgt die narratio, in welchem Cicero Tatmotive und Tathergang schildert. Er schildert allerdings nicht die Motive Milos, sondern die von Clodius, der sich bei der beabsichtigten „Zerrüttung des Staates“ durch das angehende Konsulat des Milo gestört gesehen und diesen daher nach dem Leben getrachtet haben soll.
Cic. Mil 25
Es war ihm bewusst dass sein Amt als Prätor beschränkt und schwach sein würde, wenn Milo Konsul werden würde, und, mehr noch, sah er dass das römische Volk geschlossen hinter der Entscheidung stand. […] Sobald der Mann, der für jedes Verbrechen überaus bereit war, sah dass der tapferste Mann, sein ärgster Feind, nicht nur im Gespräch inmitten des römischen Volkes, sondern auch durch ihren Stimmen die sichersten Aussichten auf das Konsulat habe, begann er offen vorzugehen und es ohne Hehl zu sagen dass Milo getötet werden müsse.
Hier ist die Differenzierung im lateinischen Text auffallend. Während Cicero den Milo als „vir“, also als echten Mann und römischen Bürger hervorhebt, welcher die virtus, also die Stärke besitzt, verwendet Cicero für Clodius die Bezeichnung „homo“, also die generelle Bezeichnung für eine männliche Person.
Cic. Mil 26
Er hatte die derben Sklaven und Barbaren, mit denen er den öffentlichen Wald verwüstet und Etrurien geplündert hatte, aus den Appeninen weggeführt, jene habt ihr gesehen. Das war keineswegs verborgen. Nämlich hat er wiederholt öffentlich gesagt, dass er Milo nicht das Konsulat entreißen könnte, das Leben schon. Er deutete das oft im Senat an und sprach davon in der Volksversammlung; Zudem, als Favonius, ein tapferer Mann, ihn (Clodius) fragte was er sich zu Lebzeiten Milos von seinem verrückten Handeln verspreche, erwiderte er dass dieser in 3, höchstens 4 Tagen tot sein werde. Favonius berichtete Marcus Cato, welcher hier anwesend ist, sofort davon.
An dieser Stelle setzt Cicero zum ersten Mal eine Zeugenaussage ein. Die Grundlagen der beiden Argumentationsstränge Ciceros, also die Notwehr und die Rettung der res publica, werden vom schändlichen Charakter des Clodius und dessen erbitterten Feindschaft gegenüber Milo gebildet. Cicero lässt dies allerdings nicht als bloße Behauptung stehen, sondern bedient sich eines Zeugen, des Favonius. Er steigerte die Glaubwürdigkeit seines Zeugen dadurch dass er eine Verbindung zwischen Favonius und Cato herstellte und somit Cato, der eine weitaus höhere Stellung und Ansehen in der Republik genoss, zu einem indirekten Zeugen erhob.
Cic. Mil 27
Da Clodius inzwischen erfahren hatte – und es war nicht schwer dies zu erfahren -, dass Milo am 13. Tage von den Kalenden von Februar eine alljährliche, offizielle und notwendige Reise nach Lanuvium unternehmen müsse, um dort einen Priester zu ernennen, weil er ja Diktator von Lanuvium war, verließ Clodius Rom ganz plötzlich am Vortage, um vor seinem eigenen Landgut, wie die Ereignisse gezeigt haben, dem Milo einen Hinterhalt zu legen. Er brach so plötzlich auf, dass er einer turbulenten Volksversammlung, die eben an diesem Tag abgehalten wurde und bei der man sein Toben vermisste, nicht besuchte und dessen Besuch er niemals verabsäumt hätte, hätte er nicht den Ort und die Gelegenheit für ein Verbrechen nützen wollen.
Cicero will hier also das Gericht davon überzeugen, dass Clodius dem Milo aufgelauert hat.
Im Anschluss folgt der längste Teil von Cicerios Rede, die confirmatio. Hier begründet Cicero seine Beweisführung indem die früheren Missetaten des Clodius thematisiert, welche Milo schon zahlreiche Möglichkeiten boten, diesen zu beseitigen. Hier setzt Cicero seinen gewichtigsten Zeugen sein – sich selbst, indem er im Plädoyer ausrief dass er selbst sah dass Quintus Hortensius Hortalus, den er als Leuchte und Zierde des Staates beschrieb, beinahe von der Sklavenschar getötet wurde, als dieser ihm beistand. Somit macht er nicht nur sich selbst, sondern auch Quintus Hortensius zu einem weiteren Zeugen der Schändlichkeiten des Clodius. Als Senator, ehemaliger Konsul und erfolgreicher Anwalt besaß Hortensius zweifelsfrei die notwendige auctoritas, um als glaubwürdiger Zeuge aufzutreten.
Cic. Mil. 44
„Dich, Q. Petilius, rufe ich auf, einen vortrefflichen und tapferen Bürger; dich, M. Cato, rufe ich zum Zeugen auf, die mir jenes göttliche Schicksal als Richter gegeben hat. Von M. Favonius habt Ihr gehört, und das habt Ihr zu Lebzeiten des Clodius gehört, dass Clodius ihm gesagt hatte, Milo werde innerhalb von drei Tagen verschwinden.“
Cicero führt schließlich einen weiteren Zeugen, Quintus Petilius, ein, während er Cato auffordert die Aussage von Favonius zu bestätigen. Durch den Einschubsatz wird Ciceros Behauptung darauf gestützt dass Clodius zu Lebzeiten die Möglichkeit hatte, im Falle der Unrichtigkeit der Behauptung, diese zu bestreiten. Dies ist allerdings nicht geschehen. Weiters diskreditiert Cicero die gegnerischen Zeugen und verurteilt, wie Eingangs erwähnt, die Sklavenbefragung unter Folter. Aus den Quellen ergibt sich nichts Genaueres zur Person des Quintus Petilius, er gehörte aber wohl den Richtern an.
Cicero würdigt die pompeianischen Gesetze und Maßnahmen als umsichtig, erklärt diese allerdings zugleich als unnötig. Zum Beweis der Ungefährlichkeit Milos wurde schließlich noch Pompeius selbst als Zeuge, der für Milo und nicht gegen Clodius sprechen sollte, aufgerufen. Cicero versucht den Richtern deutlich zu machen dass diese frei und ohne Angst vor Pompeius ein Urteil treffen könnten, denn dieser wäre schließlich, so Cicero, in enger Freundschaft mit Milo verbunden.
Der so genannte „pars extra causam“ genannte Teil der Rede enthält den Nachweis, dass der Tod des Clodius eine glückliche Fügung für den Staat und seine Rettung bedeutete.
Hier werden sämtliche Vergehen des Clodius aneinandergereiht und weitere Namen bedeutender Bürger als Zeugen eingeworfen. Genannt wird etwa Lucius Lucullus, welcher durch eigene Untersuchungen den Inzest Clodius mit seiner eigenen jüngsten Schwester und zugleich Lucullus Frau, Clodia, entdeckte und eidlich bestätigte. Weiters ein Richter des Prozesses, Publius Varius, sowie ein Ritter, denen Clodius versuchte auf illegalem Wege Güter zu entwenden.
Cicero gelingt es die beiden Argumentationslinien der Notwehr einerseits und dem Argument der Rettung des Staates andererseits durch einen raffinierten Trick zusammenzuführen. Cicero wendet sich hierfür an die heiligen Stätten Albas und den entsprechenden Gott Iuppiter Latiaris. Es folgt eine Aufzählung der Missetaten des Clodius an der Natur und den Heiligtümern, diese sollen von den Stätten selbst bezeugt werden. Cicero unterstellt ihnen die Meinung, Clodius habe seine gerechte Strafe endlich erhalten. Niemand geringerer als die Götter selbst waren es demnach, die Clodius dazu bewegten, Milo in einen Hinterhalt zu locken, und so die Möglichkeit eröffneten, diesen schändlichen Menschen endlich zu bestrafen. Er stilisiert damit Milo zum Ausführenden des göttlichen Willens.
Im Schlussteil der Rede, der peroratio, appelliert er auf dramatische Weise und unter Tränen an das Mitleid der Richter. Milo zeichnet er dabei als einen stoischen und selbstaufopfernden Menschen.
Sein ganzes rhetorisches Geschick verhalf dem brillianten Redner Cicero dennoch nicht zum Erfolg. Sein Klient, Titus Annius Milo wurde ins Exil nach Massilia geschickt. Vielleicht wäre der Prozess auch unter keinen Umständen für Milo zu gewinnen gewesen, gewiss ist jedoch dass gerade diese ausweglose Situation Cicero beflügelt hat eine derart großartige Rede zu schreiben.
Ich hoffe der erste kleine Einblick in die Welt der Römer hat euch gefallen, mehr gibt es demnächst.
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